Rethinking Shopping as Good Life Places

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Daniel Bormann

REALACE Studio

  • Bedürfnis- und Technologiewandel verändern alles: Die zentrale Frage lautet nicht mehr wie viel, sondern wozu brauchen wir eigentlich noch Shopping Places?
  • Vier strategische Aufgabenstellungen prägen den Handlungsdruck in Deutschland: Transformation überholter Einzelhandelszentren und Kaufhäuser. Strukturelle Reaktivierung von Stadt- und Quartierszentren. Entwicklung neuer urbaner „Destination Places“. Attraktivitätssteigerung bisher randständiger Gewerbeformen.
  • Zukunft gelingt nur durch Rückbesinnung: Handelsorte müssen sich wieder an ihren ursprünglichen Zweck erinnern – sie sind Orte für das gute Leben, nicht bloß für Konsum.
  • Das gute Leben ist heute komplexer als je zuvor: Die moderne Bedürfnisspirale reicht von reiner Grundversorgung über Wohlstandsmehrung bis hin zu Purpose, Community-Erlebnis und Human Enhancement.
  • Aus diesem erweiterten Narrativ entstehen neue Produkttypologien: Community Malls und Community Places verbinden Konsum mit Nachbarschaft, Gesundheit, Bildung und Kultur – sie sind Plattformen für gesellschaftliche Teilhabe.
  • Neue urbane Destinationen funktionieren über kluge Nutzungsmischung: Nur wer mehrere Besuchsanlässe unter einem Dach zusammenführt, schafft Relevanz und Resonanz. Die Synergien zwischen den Angeboten sind dabei der wahre Hebel.
  • Makers’ Malls und Genusswerke als Zukunftsmodelle: Hier wird nicht nur konsumiert, sondern produziert – von lokalen Produzentinnen und Produzenten, aber auch von den Besucherinnen und Besuchern selbst. Teilhabe ersetzt Einbahnstraßenlogik.
  • Handel muss anschlussfähig und integrierbar werden: Nur wenn er sich mit anderen Nutzungen wie Gesundheit, Bildung, Kultur oder Hospitality vernetzt, entsteht echter Mehrwert für den Ort und seine Besucherinnen und Besucher.
  • Ein neues Narrativ bietet sich an: Die Idee der Good Life Places verbindet Handelsorte mit gesellschaftlicher Relevanz, sinnstiftender Nutzung und emotionaler Bindung.

Wofür brauchen wir noch Shopping Places?

Läuft man heute durch viele deutsche Städte, dann drängt sich eine Frage fast auf: Wozu brauchen wir eigentlich noch so viele Shopping Places? Angesichts von Leerstand, Überangebot und Uniformität scheinen wir den Glauben an den stationären Einzelhandel weitgehend verloren zu haben – und das durchaus zu Recht. Die schnelle Antwort vieler Stadtplanerinnen und Stadtplaner darauf lautet: Ohne Handel veröden unsere Innenstädte. Doch dieser Reflex erklärt wenig und hilft noch weniger. Denn längst lassen sich faszinierende urbane Räume denken, in denen Orte des Konsums keine Hauptrolle mehr spielen. Das allerdings wäre eine ganz eigene, spannende Geschichte – mit der entscheidenden Frage: In welcher Stadt wollen wir eigentlich leben?

Gerade im Shopping gilt: Wird kein konkretes Bedürfnis erfüllt, entsteht auch keine Nachfrage. So einfach, so radikal.

Die neuen Aufgabenfelder seit mehreren Jahren

Die Herausforderungen rund um Einzelhandel und Stadtentwicklung haben sich in den letzten Jahren deutlich verschoben. Vier strategische Aufgaben zeigen, wo heute die zentralen Hebel liegen:

  • Transformation von Einzelhandelszentren und Kaufhäusern: Diese Schlüsselimmobilien waren einst Magneten der Stadt – heute brauchen sie neue Konzepte, nicht nur zur Repositionierung der Immobilie, sondern im Kontext ihres Beitrags zum Quartier.
  • Reattraktivierung von Stadt- und Quartierszentren: Veraltete Strukturen und verschobene Nachfrage erfordern neue Strategien zur Qualitätssteigerung im Stadtraum.
  • Entwicklung neuer Destination Places: Die Attraktivität einer Stadt wird zunehmend durch erlebbare Orte bestimmt – im Wettbewerb der Städte ebenso wie für ihre Bewohnerinnen und Bewohner.
  • Qualitätssteigerung anderer Gewerbeformen wie Office: Urbanität bleibt ein Sehnsuchtsfaktor – auch für Arbeit, Versorgung und Alltagsfunktionen. Mixed Use ist keine Option mehr, sondern Voraussetzung.

Shopping Places sind Orte für das gute Leben

Vielleicht hilft es, noch einmal von vorn anzufangen. Was war eigentlich der ursprüngliche Sinn und Zweck des Einzelhandels in der Stadt? Was ist seine basale Funktion, seine kulturelle Bedeutung für unsere urbane Gesellschaft? Wenn wir die Zukunft von Shopping Places denken wollen, müssen wir ihr First Principle freilegen – also das Fundament, auf dem wir neue Real Estate Products entwickeln oder bestehende Formate transformieren können.

Was also macht einen Shopping Place im Kern aus? Es sind Orte für das gute Leben – oder genauer: für die Verbesserung des Lebens der Menschen, die in einer Stadt leben oder sie besuchen.

Schon immer boten diese Orte mehr als nur Waren. Sie versprachen: Orientierung, Inspiration, Beratung. Sie waren Plattformen für Ideen, wie wir ein besseres Leben führen können. Dieses implizite Versprechen war lange Zeit die Legitimation des stationären Einzelhandels – sein gesellschaftlicher Beitrag.

Doch in vielen Städten haben die Shopping Places genau das verlernt. Sie liefern keine überzeugenden Antworten mehr auf die Fragen und Sehnsüchte ihrer Zielgruppen. Sie wirken leblos, ohne Bezug zu dem, was Menschen heute bewegt.

Dabei ist die Grundfrage nach wie vor gültig: Wie kann ein Ort, eine Ware oder ein Erlebnis mir helfen, mein Leben besser zu gestalten?

Eine Bedürfnisspirale bestimmt Handelsorte

Handelsorte waren immer Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen – und vor allem der Frage, welche Bedürfnisse gerade im Zentrum stehen. Einst ging es um Sicherheit und Versorgung. Dann kam die Wohlstandsmehrung: Die Warenhäuser wurden zu Kathedralen des Konsums, das Neue wurde erschwinglich und verführte zum Kaufen.

Mit der Jahrtausendwende begann das Zeitalter der Wohlfühlmehrung. Shopping wurde Erlebnis. Alles musste inszeniert, emotionalisiert, aufgeladen werden – als Antwort auf eine zunehmend gesättigte Gesellschaft. Doch das reichte bald nicht mehr. Die Frage nach Sinn trat auf den Plan. „Purpose“ wurde zu einem weiteren Bedürfnis – für Marken, für Produkte, für Orte.

Und nun? Inmitten globaler Krisen – Pandemie, Krieg, Klimakatastrophe – kehrt auch die Sicherheitsfrage zurück. Lieferengpässe, Hamsterkäufe, Verunsicherung. Der Bedarf nach Stabilität wird wieder spürbar. Was wir sehen, ist keine lineare Entwicklung, sondern eine Spirale. Bedürfnisse überlagern sich, stapeln sich, potenzieren sich – von Grundversorgung bis Human Enhancement. Diese Komplexität fordert auch die Orte heraus, an denen wir einkaufen.

Viele Handelsorte sind auf diesem Weg stehengeblieben – überholt von der Geschwindigkeit des Wandels oder gebremst durch spekulatives Denken in der Immobilienbranche. Nur wer heute relevante Antworten auf das „gute Leben“ im jeweiligen Umfeld geben kann, hat eine Zukunft. Alle anderen verlieren Anschluss.

BIKINI BERLIN war und ist ein solches Zukunftsexperiment: ein kuratierter Ort mit Hotel, Kino, Co-Working, Gastronomie und Kultur – kein reines Shoppingcenter. Ein Ort mit Haltung. Heute steht das Projekt vor der Herausforderung, sich neu zu beweisen: als Ort für eine neue, differenziertere Vorstellung des guten Lebens. Er muss Identität bewahren, sich aber gleichzeitig für breitere Zielgruppen öffnen. Ohne banal zu werden.

Visit Creator and Community Curator

Wie wird ein Ort heute relevant? Er muss mehr sein als schön und funktional. Er muss eine klare Einladung aussprechen: Komm vorbei. Bleib. Komm wieder. Und gib dem Ort Bedeutung durch deine Anwesenheit. Die erfolgreichsten Orte schaffen das, weil sie Besuchsanlässe bieten – und ein Gefühl der Zugehörigkeit. Menschen wollen nicht nur konsumieren, sie wollen Teil einer Community sein. Sie suchen Orte, die Haltung zeigen – aber auch anschlussfähig bleiben.

KALLE NEUKÖLLN ist ein gutes Beispiel für diese neue Art von urbanem Ort. Die klassische Handelsstruktur wurde aufgebrochen – und nahezu vollständig durch andere Nutzungen ersetzt.

  • Das alte Parkhaus wird zur XXL-Kreativgarage.
  • Der Dachgarten mit Pool zum Place To Be.
  • Die Foodhall wird zur Bühne für alle – mit Charakter und Tiefe.

Kalle ist dabei nicht nur besonders, sondern auch funktional gedacht: Der Supermarkt im Untergeschoss senkt Einstiegsschwellen und schafft Alltagsrelevanz. Co-Working, Eventflächen, neue Meetingformate – sie bringen Leben hinein. Und das wichtigste: Die Nachbarschaft wird eingeladen, diesen Ort zu ihrem zu machen. „Kalle ist für alle da!“ – das ist keine Floskel, sondern Programm.

Die Zukunft ist hybrid

Unser Alltag hat sich fundamental verändert. Digitalisierung und Technologie haben aus dem Smartphone eine Fernbedienung des Lebens gemacht – Shopping, Navigation, Kommunikation, Gesundheitsmanagement: alles parallel, alles sofort. Das Denken in reinen Nutzungskategorien – hier Handel, dort Arbeit, dort Freizeit – passt nicht mehr zu dieser Realität. Der Nutzer denkt hybrid. Und die Orte müssen folgen. Ein Handelsort muss heute klar wissen, was er leisten kann: Schnelle Grundversorgung? Intensives Erlebnis? Kulturelle Anschlussfähigkeit? Vielleicht sogar alles – in einem.

Besonders herausfordernd sind dabei die Erdgeschosszonen unserer Wohnquartiere. Viele von ihnen leiden unter Attraktivitätsverlust – und unter einer Überforderung an Anforderungen. Mit der EG-Edition haben wir ein strategisches Werkzeug entwickelt, das genau hier ansetzt. Es funktioniert als Serious Game: ein spielerisches, aber fundiertes Kuratierungstool für Erdgeschosse.

Basierend auf den strategischen Zielen der Eigentümerinnen, auf den realen Bedarfen und auf synergiefähigen Nutzungstypen entsteht so ein kuratierter Nutzungsmix – spezifisch, strategisch und standortbezogen. Die große Herausforderung: Erdgeschosse wieder zu Orten zu machen, die relevant sind für das gute Leben – und zwar direkt vor der eigenen Haustür.

Neue Produkttypologien benötigt

Die Monokultur des Shoppings ist am Ende. Immer häufiger lässt sich beobachten, wie einstige Magneten des Konsums in eine schleichende Abwärtsspirale geraten. Frequenz bricht ein, Mietpreise sinken, Nutzung entkoppelt sich von Relevanz – ein schrittweises Downgrading der Orte ist die Folge. Investoren, Produktarchitekt:innen und Städte stehen vor der Aufgabe, diesen Orten – oft längst Teil der Nachbarschaft – zu einem echten Revival zu verhelfen. Der Schlüssel liegt nicht im Rückgriff auf alte Rezepte, sondern in einer radikalen Neuausrichtung: Die Menschen vor Ort müssen wieder einen Grund haben, sich mit dem Ort zu verbinden. Der Handelsstandort muss wieder bedeutsamer Raum für das Leben im Quartier werden – und damit auch zur qualitativen Aufwertung des Stadtraums beitragen.

Das bedeutet einerseits: mehr Nutzungsmischung, mehr programmatische Dichte.
Und andererseits: eine neue Attraktivität in der Gestaltung – visuell wie inhaltlich. Nur wenn es gelingt, die oft gesichtslosen Oberflächen mit Charakter aufzuladen und neue Besuchsanlässe zu schaffen, entsteht Identifikation. Orte müssen wieder eine Rolle spielen im Lebensalltag ihrer Community – oder sich diese Rolle überhaupt erst erarbeiten. Die gute Nachricht: Viele dieser Orte verfügen über Raumressourcen, über Infrastruktur, über Anbindungen – also über die perfekte Grundlage für eine neue Art von Nutzungsmix. Doch was oft fehlt, ist eine klare Idee, ein starker programmatischer Rahmen.

Unsere Erfahrung mit bestehenden Malls und neuen, gemischt genutzten Orten zeigt: Nur eine Nutzungskombination, die sich konsequent an den Zielgruppenbedürfnissen orientiert und durch einen gemeinsamen Leitgedanken verbunden ist, kann nachhaltig funktionieren. Die bloße Addition verschiedener Flächen ohne erkennbare Synergie ist keine Lösung. Es braucht einen Sinnzusammenhang – emotional wie funktional.

So entstehen neue Produkttypen: Die Community Mall als nachbarschaftliches Wohnzimmer. Die urbane Destination als Future Market. Das Genusswerk als Ort für Produktion, Teilhabe und Erlebnis.

Good Life Places

Der Weg zurück führt nach vorn: Handelsorte müssen sich auf ihren Ursprung besinnen, um Zukunftserfolge zu feiern. Sie waren nie nur Verkaufsflächen – sie waren immer Orte für das gute Leben. Dafür gilt es, neue Lösungen zu wagen, die in vielen Prototypen durchaus schon vorliegen. Doch mehr noch: Es braucht ein neues, gemeinsames Narrativ – ein Leitbild, das Orientierung schafft und unterschiedliche Akteure verbindet. Good Life Places können dieses Narrativ verkörpern: als Orte, die wirtschaftlich tragfähig, gesellschaftlich relevant und emotional wirksam sind. Wer dieses Prinzip ernst nimmt, erkennt: Es braucht neue mutige Lösungen. Und viele dieser Lösungen gibt es längst – als Pilot, als Prototyp, als Pionierprojekt.

Jetzt ist es Zeit, sie weiterzuentwickeln – und neue Standards zu setzen.

ÜBER DEN AUTOR

Daniel Bormann ist Gründer, Partner und Geschäftsführer von Realace. Er verantwortet die Themen Innovation und Neue Geschäftsfelder

Thematisches zu innovativen Impulsen und chancenreichen Transformationen.